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Die Zukunft fesselt uns wie kaum ein anderes Phänomen: das Planen und Hoffen, das Wünschen und Fürchten, das Fragen, was aus uns wird und wie. Besonders in Zeiten der Krise und Verzweiflung blüht das unweigerlich subjektive Spekulieren auf eine bessere, schlechtere oder auch ewig gleichbleibende Welt auf. Von der biblischen Apokalypse bis zum Heilsversprechen des Paradieses, von der in der Aufklärung wurzelnden Erfindung des linearen Fortschritts bis zum Geschichtspessimismus: Die Voraussetzung eines morgigen Tages, so ungewiss, so ersehnt oder unerwünscht dieser auch sein mag, bedingt jede unserer Handlungen. Doch gleich, ob man der kommenden Zeit optimistischentgegenschreitet oder ihr wie Walter Benjamins Engel der Geschichte rückwärts entgegenfliegt, gleich, ob man sie als vergangenheitsgesättigt oder als Inbegriff des Neuen auffasst: Wie wir über die Zukunft nachdenken, bestimmt unsere historische Erfahrung und umgekehrt. Das 20. Jahrhundert, in dessen Schatten wir noch leben, gilt weithin als das erste imWesentlichen zukunftsbezogene Zeitalter. Zwar haben die wissenschaftliche Prognose unddas Fortschrittsdenken ihren Ursprung in der europäischen Aufklärung. Doch erst die gewaltigen Durchbrü che und Meilensteine, die globalen Umwälzungen und Kataklysmenseit dem Beginn des Ersten Weltkrieges rückten die Idee der Zukunft in den unmittelbaren Blickpunkt von Politik, Wissenschaft, Kunst und Alltag. Ereignisse wie Weltkriege oder dieWeltwirtschaftskrise, wie Auschwitz, Hiroshima oder Tschernobyl stellten die Zukunftradikal zur Diskussion, wohingegen die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", die Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen den scheinbar hinfälligen Traum einer emanzipierten Zukunft wieder zusammenstü ckelten. Entwicklungen wie Luft- und Raumfahrt, die Verbreitung der Massenmedien, das Aufkommen der globalen Marktwirtschaft oder das Feststellen der Grenzen des Wachstums schürten neue Prognosewellen, Wunschbilder und Schreckensszenarien. Nicht zuletzt erweckte das bevorstehende neue Millennium chiliastische bis utopische Erwartungen, deren Dynamik mit 9/11 gleich ins soeben angebrochene Jahrtausend übertragen wurde. Bei allerVerzweiflung unseres postindustriellen Zeitalters, ob und wie es mit uns weitergeht, scheint die Kategorie Zukunft noch zukunftsträchtig. Denn gerade das stetige Fragen nach dem"Ob" und "Wie" zeugt von einem bleibenden Interesse an der Zukunft, sei es alsErwartungszeitraum oder metaphysisches Problem, als Nostalgie oder Fantasie.§Dieses existenzielle Interesse, das alle Enttäuschungen und Verirrungen überdauert odergar einverleibt hat, bildet den Ausgangspunkt für die neue Sonderausstellung der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof Museum fürr Gegenwart Berlin, die den betörenden Horizont des "Noch-Nicht" in den Blick nimmt. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die titelgebende Skulptur von Joseph Beuys, "Das Ende des 20. Jahrhunderts (1.Fassung)". Anfang der 1980er Jahre, als das so herbeigesehnte wie gefürchtete "Ende des 20. Jahrhunderts" noch in der Zukunft lag, arrangierte der Künstler 21 liegende Basaltstelen, einen Hubwagen und eine Brechstange zu einer der eindringlichsten Prognosen unserer Zeit. Zugleich Steinbruch, Schlachtfeld, Lazarett und Ausgrabungsstätte, Friedhof, Garten und Geröll, verbindet Beuys im Entstehen begriffenes Monument an die Zukunft die Archäologie mit der Futurologie. Es vereint die alte mit einer neuen, von ihm erträumten Welt; es lebt den Tod und zeichnet einen Neubeginn.
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